Was ist handelnde Kunst?

Im Begriff der handelnden Kunst geht es darum, dass das Kunstwerk Teil des Lebens dieser Welt ist. Es hat seinen emotionalen Wert, es erinnert an etwas, es hält eine Idee wach. Es ist eine anspruchsvolle Kunst, denn sie hat den Anspruch, etwa zu bewirken. Das tut sie einerseits durch den verbindenden Geldfluss, der dem guten Projekt hilft, andererseits durch ihre Präsenz und Würde in der Welt als Kunstwerk, als Bild, dass uns an die gute Tat erinnert, die Mitmenschlichkeit, die es verkörpert, wenn es seinen Platz gefunden hat.

Das Kunstwerk steht dabei mitten im Leben. Es steht in der Mitte zwischen Käufer und dem damit unterstützten Projekt. Es verbindet beide, reicht beiden großzügig die Hand, gibt Aufmerksamkeit und Halt, erinnert an die Wirksamkeit des Guten. Es wirkt im Bewusstsein der Betrachter, ermuntert durch seine hoffnungsvolle Botschaft und verkörpert das Engagement, dessen Teil man durch den Erwerb wird.

Kunst und Gesellschaft

Warum ist es notwendig, dem Begriff der Kunst im üblichen Sinne, den der handelnden Kunst bei zugesellen? Welchen Entwicklungen und Tendenzen stellt er sich entgegen?

Die Rolle der Kunst und der Künstler in der modernen Gesellschaft ist immer wieder problematisiert worden. Ein Problem liegt heute darin, dass diesen Begriffen die Vorstellung von etwas Elitärem anhaftet, zu dem nur derjenige Zugang erlange, der durch privilegierte Geburt Zugang zu Bildung und dem Schönen der Künste erhalten habe. Folgerichtig steht der Begriff der Kunst auch gemeinhin im Gegensatz zur Konsum- und Unterhaltungsindustrie. Dies verleiht den Werken, welche im Zeichen der Kunst stehen, den Charakter vormoderner Relikte, egal ob es sich um Klassiker der Weltliteratur, symphonische Musik oder Artefakte der bildendenden Kunst handelt. Angesichts der vielen neuen immer kurzweiliger und kurzlebiger werdenden Unterhaltungsformate fürchtet manch einer schon das Horrorszenario heraufziehen, in dem die Menschheit die Fähigkeit zur Empathie, zum erlebenden Verstehen der Gefühle und Lebensumstände der Kunstschaffenden verliert und die Museen nur noch mit Namen des etablierten Prestiges Besucher anlocken können.

Die Versuche modernerer Künstler, sich abseits des elitären Establishments zu positionieren und neue Formen zu erschließen, sind allerdings nicht als weniger elitär empfunden worden. Die Strategie, durch Irritation Aufmerksamkeit zu erheischen, war zwar für die Bekanntheit der einzelnen Künstler zuträglich, hat aber dem Ansehen der Kunst allgemein geschadet. Die Scherzfrage „Ist das Kunst oder kann das weg?“ gibt davon ein eindrückliches Zeugnis. Das Anliegen der Handelnden Kunst hingegen, ist es, Anspruch und Verständlichkeit miteinander zu versöhnen. Ist die Handelnde Kunst erfolgreich, so öffnet sie den geschlossenen Raum der Kunst für Werke, die ihren sinnfälligen Platz in der Welt haben.

Um die Tragweite dieser Vision zu verstehen, möchte ich kurz die Entwicklung seit den 50er Jahren skizzieren.

Seit den 50er Jahren sollte die Beziehung zwischen, Kunst, Künstler und Betrachter ausgelotet werden. Aktive Teilnahme ist z.B. bei Happenings erwünscht. Auch die Verwendung von Materialien aus der industriellen Fertigung von Alltagsgegenständen floss in die Kunst ein, führte so im Kunstwerk selbst unterschiedliche gesellschaftliche Gebiete zusammen und bewirkte damit eine Veränderung der Kunst und ihres Produktionsprozesses, aber keine Veränderung im gesellschaftlichen Sinne. Die Kunst wirkt nicht über sich selbst hinaus, es ist höchstens eine Selbstbetrachtung, ein Kreisen um den Kunstbegriff und um den Ort, an dem Kunst stattfindet. Es ist immer nur die Beziehung zwischen Kunst, Künstler und Betrachter, die hier ausgelotet wurde.

In den 80er/90er Jahren versuchte man dann, Kunst als etwas zu deklarieren, das nicht losgelöst vom alltäglichen Leben existieren solle, darin verschwinden soll. Alles sei Kunst und jeder Mensch ein Künstler. Dadurch nahm man aber der Kunst ihre Würde und machte sie damit beliebig und unverständlich, stumm. Diese versuchte Verschmelzung von Kunst und Alltag fand ihren deutlichen Ausdruck bei den Installations- und Performancekünstlern. Eines der eindrücklichsten Beispiele stellt die Aktion von Allan Kaprow dar, die er bei einer Ausstellung des Installations- und Performancekünstlers Paul McCarthy Anfang der 90er Jahre organisierte. Sein Beitrag bestand darin, dass der Galerist jeden Morgen vor Beginn der Ausstellung mit einem Gartenschlauch den Bürgersteig bewässerte. Dies wurde kaum als Teil der Ausstellung wahrgenommen und genau das war intendiert. Denn Kunst sollte mit dem Alltagsleben eins werden. Hier wird der künstlerische Akt ununterscheidbar vom Alltagsakt, in dem die Kunst nicht wahrgenommen wird und untergeht. Damit verliert die Kunst aber auch ihre Möglichkeit, eine gesellschaftliche Wirkung zu entfalten.

Das Kunstwerk als Geldanlage

Kunst hängt nicht nur dort an der Wand, wo ein leidenschaftlicher Kunstliebhaber wohnt und wirkt. Sie ist auch ein Investitionsobjekt. Kunstwerke drohen zu reinen Objekten der Spekulation, Investition zu werden. Künstlerisches Schaffen und Kreativität ist kalkulierbare Ware, die auf dem Kunstmarkt ihren Preis hat.

Der Wert von Kunst wird über den Kunstmarkt bestimmt, der kaum anders funktioniert als der Aktienmarkt. Und ebenso kapitalorientiert wird meist von Seiten der Sammler und Käufer gehandelt. Sie investieren in Kunst, lagern diese dann in großen Hallen, und verkaufen sie zum günstigen Zeitpunkt wieder. Hier interessiert man sich nur für das Kunstwerk als Geldanlage. Kunst ist eine Ware, mit der gehandelt wird nach dem Prinzip der Börse: buy – hold – sell. Kann sich ein Kunstwerk dieser Dynamik entziehen? Der Wert und die Bedeutung eines Kunstwerkes sollten sich doch aus dem Kontext seiner Entstehung ergeben, Erinnerungen transportieren, als ein Zeugnis des lebendigen Lebens betrachtet werden, welches man sich im Kunstwerk als Liebhaber bewahrt.

Die Vision der Handenden Kunst: Keine Wohltätigkeit, sondern Mitwirkung

Die Handelnde Kunst unterscheidet sich vom Kunsthandel. Das Kunstwerk ist hier auch Investitionsobjekt, aber in doppeltem Sinne, denn es will gesellschaftliche Veränderungen mit anzustoßen. So könnte der Marktwert der Kunst sich neu definieren durch die finanziell ermöglichte Veränderung auf einem anderen gesellschaftlichen Feld, durch die Unterstützung eines Projektes, welches der Gesellschaft wieder etwas zugutekommen lässt. Hierbei geht es nicht um eine einfache Spende oder ein Almosen. Der Künstler steckt Ideen und Arbeit in sein Werk. Ebenso vermittelt er aber auch zu einem konkreten Projekt, dass sich im Werk spiegelt und durch dieses gefördert wird.

In der Handelnden Kunst ist das Kunstwerk die Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft. Künstler haben den Freiraum, ihr kreatives Potential zu nutzen, und können gleichzeitig durch den Verkauf der Kunstwerke handelnd gesellschaftliche Prozesse Fördern. Der Käufer ist dabei diejenige Instanz, die die produktive Förderung der gesellschaftlichen Potentiale erst ermöglicht. Über den Besitz der Kunst hinaus fördert der Käufer beispielsweise kulturelle und wissenschaftliche Entwicklungen. So bleibt das Kunstwerk nicht nur ein begehrtes Objekt im Privatbesitz, sondern erlangt eigene Kraft als Subjekt, welches sich bewahrend und achtsam für das Gute einsetzt.

So findet eine bedeutungsvolle, konkrete Demokratisierung der Kunst statt, die den geschlossenen Raum der Kunst öffnet für die produktiven Potentiale der Gesellschaft. Die Kunstwerke treten aus ihrer Stellung als reine Ware hinaus und werden selbst zu Subjekten, die etwas bewegen, lösen sich aus der Welt der Selbstverweisung und nehmen vom Moment ihrer Entstehung im Zusammenhang mit einem Projekt bis hin zum Akt des Verkaufs teil am gesellschaftlichen Leben, wodurch die Kunst als Handelnde endlich die Forderung nach gesellschaftlicher Relevanz erfüllen kann.

Ingrid Marschang und Guido Lang, Berlin 28. November 2024